Nicht alle Männer, aber immer Männer
Patriarchale Gewalt ist kein Naturgesetz. Sie ist gemacht, gelernt – und kann verlernt werden. Am 25. November gehen wir auf die Straße. Für ein Leben frei von Gewalt. Wir gedenken der Frauen im Sudan, in Palästina, in Kurdistan und anderswo, die Opfer patriarchaler Kriegspraktiken werden. Wir gedenken den Frauen, die zu Hause Gewalt erfahren und jenen, die im öffentlichen Raum sexualisierte Übergriffe erleben. Und all das tun wir weltweit – von Basel bis nach Panama, wo unsere Schwestern am 25. November auch gegen die Schließung des Frauenministeriums protestieren werden.

Gewalt hat System
Wir alle kennen patriarchale Gewalt. Wir alle spüren sie. Frauen verdienen weniger für die gleiche Arbeit. Sie erziehen, pflegen und versorgen – gratis oder schlecht bezahlt. In der Schweiz liegt ihr Einkommen aufgrund der unbezahlten Arbeit 43 Prozent unter dem der Männer. Diese ökonomische Gewalt ist kein Zufall, sondern System. Sie hält Frauen abhängig.
Auch in der Medizin spiegelt sich das Ungleichgewicht. Frauen warten in der Notaufnahme im Schnitt 30 Minuten länger und bekommen seltener ein starkes Schmerzmittel. Man nimmt unsere Bedürfnisse schlichtweg nicht ernst. Der männliche Blick – der Male Gaze – prägt unsere Gesellschaft. Eine Welt von Männern, für Männer: von der Medikamentenforschung bis zur Stadtplanung.
Und dann ist da die sexualisierte Gewalt. Die anzüglichen Rufe. Die Hand, die „aus Versehen“ den Hintern streift. Die „lustigen“ Sprüche in Männerrunden. All das ist das Fundament, auf dem Tödliches fußt. Fast jede Frau kennt eine, die Partnergewalt erlebt hat. Das auszusprechen, ist schwer. Auch für mich. Auch ich schäme mich darüber zu sprechen: über das Leiden, die psychischen Zusammenbrüche, die (selbst)zerstörerische Dynamik, die Partnergewalt bringt.
Die französische Kämpferin Gisèle Pelicot, die über Jahre von ihrem Mann betäubt und in dieser Zeit von mutmaßlich 51 Männern vergewaltigt wurde, sagte vor Gericht: „Die Scham muss die Seite wechseln.“
Schämt euch
Was denken sich Männer, die Frauen auf der Straße „geiler Arsch“ hinterherrufen oder ungefragt Penisbilder schicken? Ich weiß es nicht. Aber eine Studie der Uni Salzburg zeigt, dass es dabei nicht um echtes Interesse, sondern um Dominanz geht. Eine repräsentative Studie aus Deutschland ergab: Ein Drittel der Männer zwischen 18 und 35 findet Gewalt gegenüber der Partnerin in Ordnung. Rund die Hälfte hält es für legitim, Frauen hinterherzurufen – und glaubt, wer sich „aufreizend“ kleide, fordere Übergriffe heraus. Diese Zahlen sind erschütternd – und für Männer beschämend. Wie sollen wir oder unsere Töchter sorglos in eine Beziehung mit Männern treten, wenn im schlimmsten Fall tödliche Gewalt droht?
Bis Ende September wurden in der Schweiz 20 Frauen ermordet – meist von Partnern oder Expartnern. Im Jahr 2023 starb in Deutschland fast täglich eine Frau oder ein Mädchen durch einen Femizid.
Autoritäre Parteien befeuern die Gewalt
2024 verzeichnete das deutsche Bundeskriminalamt 128.000 Sexualdelikte. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Rechte Parteien machen Migration dafür verantwortlich. Doch Täter werden nicht durch Herkunft geprägt, sondern durch patriarchale Geschlechterbilder. Patriarchale Normen gibt es in allen Ländern. Und sie werden besonders von konservativen und autoritären Kräften verteidigt, die unsere Emanzipation als Bedrohung empfinden.
Während sie Europa abschotten und das Asylrecht verschärfen, bauen dieselben Parteien den Sozialstaat ab, schwächen Schutzstrukturen für Frauen und queere Menschen – und nennen das schließlich Sicherheitspolitik. Man könnte zynisch sagen: Sie verteidigen ihr Privileg, Frauen selbst zu belästigen.
Frauen werden linker –
Männer rechter
Wir leben in einer Multikrise: Klimakrise, Care-Krise, Kriege, Angst vor dem sozialen Abstieg. Das belastet alle Geschlechter. Doch während Frauen Solidarität suchen und linke Parteien wählen, driften viele Männer nach rechts - in alte Rollenbilder. In die Illusion von Stärke, Kontrolle, und Überlegenheit. In Weltbilder, die ihnen die Macht zurückgeben sollen – notfalls mit Gewalt. Das dürfte einer der Auslöser der gestiegenen Gewaltzahlen sein. Doch das entschuldigt nichts.
Wenn wir Gewalt an Frauen beenden wollen, müssen wir die Wurzeln bekämpfen: ökonomische Abhängigkeit, männliche Machtansprüche, die Abwertung von Sorgearbeit und die rechte Hetze gegen unsere Emanzipation. In erster Linie ist es daher unsere Aufgabe als Frauen und genderqueere Menschen uns zu organisieren, patriarchale Fesseln abzustreifen und Gegenperspektiven zu entwickeln, in denen wir als wirkliche Menschen vorkommen. Aber Feminismus ist kein reines Frauenthema, sondern ein Gesellschaftsprojekt. Die Frage ist nicht, ob Männer Teil davon sind – sondern wann sie endlich Verantwortung übernehmen.
Medienecho & Redebeiträge
Beitrag ANF Deutsch "Nicht alle Männer, aber immer Männer!"
Beitrag ANF Türkisch "Tüm erkekler değil ama her zaman erkekler!"
Yeni Özgür Politika "Tüm erkekler değil ama her zaman erkekler!"